GE, 16.01.2020 

„Coworking statt Pendeln“.  

Ein Gespräch mit Dr. Rüdiger Klatt, Projektleiter von CoWin

Im Forschungsprojekt CoWin (www.co-win.de) untersucht das FIAP im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums in einem Feldexperiment, wie die Nutzung diese Arbeitsmodells ‚Coworking‘ für Pendlerinnen und Pendler optimiert werden kann. An zwei Standorten, im Designhaus Marl und im Wissenschaftspark Gelsenkirchen, wurden dazu in den Coworking-Spaces Arbeitsplätze angemietet. Aktuell testen insgesamt 15 Unternehmen und 41 Beschäftigte das innovative Arbeitsmodell.

Seit einem Jahr läuft das Experiment. Zeit für eine Zwischenbilanz. Wir sprachen mit Projektleiter Dr. Rüdiger Klatt der auch Institutsleiter des FIAP ist.

 

Silke Steinberg: Seit gut einem Jahr läuft das Modellprojekt CoWin, dass mehr Berufspendler für das Coworking begeistern soll. Was war die Idee des Projektes CoWin?

Rüdiger Klatt: Das dezentrale Arbeiten „anytime, anywhere“ wird durch die fortschreitende Digitalisierung für viele Erwerbstätige erheblich erleichtert. Für Videokonferenzen, Desksharing, für den Zugriff auf Firmendaten von zu Hause oder unterwegs gibt es immer weniger technische Barrieren. Es existieren virtuelle Arbeitsräume, die sich von der Wirklichkeit kaum noch unterscheiden und die die digitale Arbeitswelt nochmals erweitern.

Die Menschen müssten also eigentlich nicht unbedingt zur Arbeit fahren. Die Arbeit kann vielmehr durch die Digitalisierung zu den Menschen kommen.

Also steht in Frage, warum wir es bislang noch nicht geschafft haben, die Möglichkeit dezentralen Arbeitens im Home office oder im Coworking Space noch breiter als bisher zu verankern. Es geht auch darum, die Arbeitswelt klimaneutraler zu gestalten, indem man Arbeits- und Dienstreisewege vermeidet. Neue Studien zeigen übrigens auch, dass Pendlerinnen und Pendler häufiger erschöpft und öfter krank sind und häufiger Probleme mit der Work-Life-Balance haben. Das Projekt hat also auch eine Gesundheitsdimension.

 

Silke Steinberg: Wo steht das Projekt aktuell?

Rüdiger Klatt: Wir konnten zahlreiche Unternehmen und noch mehr Beschäftigte für die Idee gewinnen. Wir verfügen im Modellprojekt über 20 voll ausgestattete Coworking-Arbeitsplätze mit modernster (Video-) Konferenztechnik, Breitband-Internet und einem Virtual Reality-Arbeitsraum. Das Projekt unterstützt mehr als 40 Probanden bei der Nutzung dieser Technologien. Wir führen laufend Feedbackgespräche mit den Coworkerinnen und Coworkern, um die Arbeitsplätze für Pendler zu optimieren. Wir sprechen auch Empfehlungen an die Betreiber aus, wie man diese Zielgruppe noch besser erreichen kann. Außerdem bieten wir jedem der beteiligten Unternehmen Hilfestellungen an, das Thema Coworking in den Unternehmen zu verankern.

Zuletzt arbeiten wir auch mit den Anbietern von Digitalisierungs- und Virtualisierungstools zusammen, um die Usability dieser Tools aus Nutzersicht zu erhöhen oder vielleicht auch, um neue Dienste zu entwickeln, die das dezentrale Arbeiten leichter machen. Im Dialog zwischen den Anbietern und den Usern entstehen in Workshops neue Ideen für Dienstleistungen, die neue Geschäftsfelder eröffnen und Arbeitsprozesse optimieren.

 

Silke Steinberg: Und welche Erkenntnisse habt ihr bislang gewonnen?

Rüdiger Klatt: Wir sehen enormes Potenzial im Arbeitsmodell Coworking: für Unternehmen, für Beschäftigten, für Betreiber. Allerdings gibt es auf allen Ebenen Widerstände und Fallstricke, die es zu überwinden gilt. Die Umsetzung dezentraler Arbeitsmodelle – ob Coworking oder Home office oder auch die Arbeit unterwegs – ist kein Selbstläufer und erfordert langen Atem. Auf jeder Ebene bedarf es einer Strategie.

Und am Ende steht auch die Frage, was will die Gesellschaft, was will die Politik. Im Moment werden betriebliche Arbeitsstätten und pendelnde Beschäftigte besser gestellt, besser reguliert und stärker subventioniert als die anderen Arbeitsformen.

 

Silke Steinberg: Was ratet ihr Unternehmen, die ihren Beschäftigten Pendelwege ersparen wollen und dazu den Coworking-Space in Wohnortnähe des Beschäftigten nutzen wollen?

Rüdiger Klatt: Zunächst einmal muss das Unternehmen klären, was es will. Welchen Kosten entstehen mir und welchen Nutzen hat es für mein Unternehmen und für meine Beschäftigten? Man muss dazu wissen, dass in vielen Unternehmen 1/3 der Arbeitsplätze täglich unbesetzt bleiben, da die Mitarbeiter dienstlich unterwegs sind, zu Hause arbeiten, krank oder im Urlaub sind. Hier liegt für die Unternehmen ein enormes Einsparpotential, wenn es gelingt, die Arbeitsplatzvergabe flexibler als bisher zu gestalten. Das setzt aber ein regelrechtes Arbeitsplatzmanagement voraus, das strategisch angelegt werden muss. Außerdem müssen die Beschäftigten dabei ‚mitgenommen‘ werden. Nicht jeder will auf einen festen Arbeitsplatz verzichten. Nicht jeder will in einem offenen Großraumbüro arbeiten.  Wir haben auch festgestellt, dass viele Beschäftigten die Gespräche mit ihren Arbeitskollegen schätzen und ungewohnte Umgebungen ablehnen.

Für Unternehmen, die wachsen, lohnt es sich in jedem Fall, Coworkingplätze für ihre pendelnden Beschäftigten anzumieten oder Ihnen die Arbeit zu Hause zu ermöglichen. Auch für Unternehmen, die für Arbeitsspitzen Beschäftigte auf Zeit einstellen, ist der Coworking-Space eine interessante Alternative zur Anmietung weiterer eigener Büroflächen. Das bedeutet aber im Gegenzug: nicht für jeden Mitarbeiter wird ein eigener Arbeitsplatz am Firmensitz vorgehalten.

Last but not least: Wir haben auch Unternehmen, die den Coworking-Space als eine Art virtuelle Betriebsstätte nutzen. Diese zumeist komplett dezentralisierten Unternehmen merken, dass es manchmal sinnvoll ist, sich nicht nur telefonisch oder digital zu treffen, sondern auch physikalisch. Dafür sind Coworking-Spaces ideal.

 

Silke Steinberg: Welche Ergebnisse haben die Nutzerbefragungen bei den Beschäftigten ergeben?

Rüdiger Klatt: Die Beschäftigten, die sich auf das Experiment eingelassen haben, sind mehrheitlich sehr zufrieden. Sie machen neue Erfahrungen, z.B. mit Virtual Reality-Arbeit, sie lernen neue Leute kennen. Manchmal ergeben sich auch neue Geschäftsbeziehungen und Kooperationen, z. B. zwischen Freelancern und den Unternehmen. Es gibt natürlich auch Beschäftigte, die sagen: ‚Das ist nichts für mich, ich arbeite lieber im Büro oder zu Hause, auch wenn ich durch die Arbeit im Coworking-Space 1 bis 2 Stunden Fahrtweg spare.‘ Wir wissen aus diversen Studien, dass der direkte soziale Austausch mit Kollegen und Vorgesetzen sehr wichtig ist, aber eben nicht unbedingt täglich. Es geht also in unserem Experiment darum, für Berufspendler mehr Möglichkeiten zu schaffen, um flexibel zu arbeiten und lange Arbeitswege wenigstens ab und zu vermeiden. Außerdem glauben wir, dass sie dann zufriedener und motivierter arbeiten und es auch schätzen, sich einmal mit anderen auszutauschen. Die von uns durchgeführten Befragungen der Coworker bestätigen uns auch darin.

 

Silke Steinberg: Was erwarten denn die Berufspendler und Berufspendlerinnen von einem Coworking-Space?

Rüdiger Klatt: Dazu muss man wissen: Unsere Probanden sind bereits in ihrem Unternehmen etabliert. Das Durchschnittsalter der CoWin-Projektteilnehmer liegt bei 42 Jahren. Sie sind überdurchschnittlich gut qualifiziert. Deshalb ist ihr Anspruchsniveau auch relativ hoch. Das betrifft die Ausstattung der Coworking-Plätze, die Technik, aber auch die soziale Qualität: nette Kollegen, eine angenehme Community. Der ‚Wohlfühlfaktor‘ im Coworking-Space muss sehr hoch sein. Er ‚konkurriert‘ ja mit dem Arbeitsplatz im Büro oder zu Hause. Büroservices jeglicher Art, Vernetzungs- und Kooperationsangebote, eine Kantine, der eigene Parkplatz, aber auch Angebote für Fortbildungen, Kinderbetreuung oder Sport- und Freizeitangebote sind sehr erwünscht. Es darf nicht zu laut sein, aber auch nicht zu ruhig.

In unserem Modellprojekt sagen knapp 40%, dass der Arbeitsplatz im Coworking-Space besser ist als der im eigenen Unternehmen. 60% sagen sogar, er ist besser als mein Arbeitsplatz zu Hause. Das ist eine wichtige Grundlage dafür, dass Unternehmen und Berufspendler sich öfters mal für den Arbeitsplatz im Coworking-Space entscheiden.

 

Silke Steinberg: Die ‚Hürde‘ für einen guten Coworking-Space aus Pendlersicht liegt damit ja recht hoch. Welche Empfehlungen hast du denn für die Betreiber?

Rüdiger Klatt: Ja, das ist auch eines der Probleme, das wir sehen: Nicht nur die Unternehmen, auch die Betreiber benötigen eine umfassende Strategie, um den ‚Markt‘ coworking-interessierter Pendlerinnen und Pendler zu erschließen. Viele Coworking-Spaces zielen ja eher auf die Zielgruppe der Startups, Kreativen oder der Freelancer. Das Anspruchsniveau der pendelnden Beschäftigten und ihrer Unternehmen ist meist höher. Ausstattung, Services, Technik, Community-Management müssen daher möglichst perfekt sein. Die Unternehmen erwarten quasi ein Rundum-Sorglos-Paket, dazu möglichst flexible Mietverträge und eine tag- oder gar stundengenaue Abrechnung. Das ist natürlich eine riesige Herausforderung für die Betreiber, weil es die Kosten hochtreibt.

Und dann haben die Betreiber noch das Problem, die Zielgruppe der Berufspendler marketingtechnisch wirklich zu erschließen. Dazu brauchen sie die Unternehmen, deren Beschäftigte in Coworking-Space-Nähe wohnen, aber zu ihrem Arbeitsplatz in andere Städte pendeln. Es ist nicht so einfach, die zu erreichen.

Zuletzt benötigen die Betreiber auch ein smartes, flexibles System des Arbeitsplatzmanagements, der Mitgliederverwaltung und der Abrechnung. Damit jeder Arbeitsplatz von mindestens 4-5 Coworker, die an 7 Tagen 24 Stunden lang Zugriff auf einen Arbeitsplatz haben, genutzt werden kann. Sonst trägt sich der Betrieb eines qualitativ hochwertigen Coworking-Space eventuell nicht.

Zur Erfüllung der sozialen Erwartungen an den Arbeitsplatz im Coworking-Space bedarf es eines halbwegs systematischen Community Managements, zumindest eines „Kümmerers“ der für Gelegenheiten des sozialen Austauschs sorgt. Das kann aber auch durch einen Coworker selbst oder eine Gruppe von Coworkern übernommen werden.

 

Silke Steinberg: Eine Frage zum Schluss: Aus ihrer Sicht – wie kann der Markt für die Dienstleistung „Coworking“ zukünftig noch besser entwickelt werden?

Rüdiger Klatt: Im Ergebnis zeigt CoWin: Unternehmen und ihre Berufspendler sind ein lukrativer Markt. Unternehmen mit Firmenstandorten an hochpreisigen Metropol-Standorten haben ein Interesse, ihre Ausgaben für Büroflächen zu minimieren. Ich denke an Unternehmen, die in Düsseldorf, Köln, Essen oder Münster ihren Firmensitz haben und deren Mitarbeiter im Umkreis von 100 km wohnen.

Das Unternehmen weiß häufig aber nicht, wo seine Mitarbeiter wohnen, ob für diese dezentrales Arbeiten sinnvoll wäre und ob diese Mitarbeiter dann auch noch ein Interesse oder eine Affinität für das Arbeitsmodell Coworking haben.

Dann müssen auch die Angebote an Coworking-Arbeitsplätzen und die innerbetrieblichen Bedarfe ‚gematcht‘ werden. Dazu müssen die Unternehmen die Frage beantworten: ‚Wer will, wer kann, wer darf‘ wohnortnah coworken oder im Homeoffice arbeiten.

Wenn dies geklärt ist – und das setzt in größeren Unternehmen ein strategisches, organisiertes Vorgehen voraus –, braucht man geeignete Coworking-Spaces.

Dabei gilt, je mehr geeignete Mitarbeiter in möglichst großer Entfernung vom Firmensitz in Clustern zusammenwohnen, desto eher lohnt sich die Anmietung eines Platzes. Da die Mitarbeiter im Durchschnitt 1-2 mal pro Woche im Coworking-Büro sitzen, kann ein Arbeitsplatz dort für bis zu 5 Mitarbeiter geteilt werden. Wir empfehlen den Unternehmen im Modellprojekt CoWin, einen Arbeitsplatz für mindestens zwei, aber höchstens vier Mitarbeiter vorzusehen. Wir raten den Unternehmen auch, für die Nutzung ihrer flexiblen Plätze im Coworking-Space (und im Unternehmen) Belegungspläne oder, noch besser, eine Belegungs-APP zu entwickeln. Und außerdem müssen die Unternehmen die eigenen Arbeitsplätze mindestens teilweise flexibilisieren. Das bedeutet, das nicht für jeden Mitarbeiter ein eigener Arbeitsplatz vorgehalten wird, sonst zahlen sie am Ende doppelt.

Zuletzt noch eine Bemerkung: Ich glaube, CoWin konnte zeigen, dass und wie sich „Coworking statt Pendeln“ wirklich für alle Beteiligten lohnt. Aber es braucht einen langen Atem und eine gute Strategie. Dazu entwickeln wir die notwendigen Unterstützungsangebote und Handlungsempfehlungen für alle: Unternehmen, pendelnde Beschäftigte und Betreiber von Coworking-Spaces.

 

Das Modellprojekt CoWin: Entwicklung und Erprobung eines ‚virtual reality’ gestützten Coworking-Modells für BerufspendlerInnen wird seit Januar 2018 im Rahmen des Förderprogramms „Umbau 21 – Smart Region“: Initiative zur Digitalisierung in der Emscher-Lippe- Region vom Land NRW gefördert.

Kontakt:

Dr. Rüdiger Klatt

Munscheidstr. 14

45886 Gelsenkirchen

r.klatt@fiap-ev.de

Weiter Informationen finden Sie unter: www.co-win.de